Ranil, Du bekennst Dich zu einer „bildmäßigen Fotografie“ und stellst Dich damit in eine von der Malerei in früheren Jahrhunderten begründete Tradition. Bedienst Du Dich dieser Art zu fotografieren bei der Konkurrenz?
Ich empfinde Fotografie und Malerei nicht als gegensätzliche Disziplinen. Fotografie ist für mich die Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln. Als die Fotografie neu war, hat sie von der Malerei Aufgaben übernommen, zum Beispiel Personen für die Ewigkeit festzuhalten. Und genau wie die Malerei kann auch die Fotografie Emotionen darstellen.
Zu Deinen auffälligsten Stilmitteln zählen Unschärfen – Sfumato, Bewegungsunschärfen, reduzierte Hell-Dunkel-Kontraste. Welche Wirkung möchtest Du damit erzielen?
Ich setze diese Stilmittel ein, um einen Stimmungsraum zu erzeugen. Etwas real abzubilden, interessiert mich weniger. Wenn ich Menschen porträtiere, dränge ich Hinweise auf die Realität in den Hintergrund oder lösche sie ganz aus. Ich konzentriere mich auf ihre Persönlichkeit. Ich will zum Wesentlichen kommen - wie Sugimoto in seinen Architekturaufnahmen mit der Lochkamera.
Das Wesentliche erfassen – hältst Du das für objektiv möglich? Projizierst Du nicht Deine Sicht auf eine Person oder eine Landschaft in Deine Aufnahmen hinein?
Meiner Bilder sind Projektionsflächen, ja – Projektionsflächen meiner Suche nach Schönheit. Nicht nach einer oberflächlichen Schönheit, eher nach der des ewigen Spiels von Werden und Vergehen. Warum lebe ich? Warum lebe ich gerne? Warum sind wir so sehr daran interessiert zu überleben? Irgendetwas Schönes lässt uns an dieser Existenz ja festhalten. Meine Bilder sind Projektionsflächen für Antworten – für mich, aber auch für andere. Da Vinci hat schon über das Sfumato gesagt, wenn man dem Betrachter über die Unschärfe unvollständige Bilder bietet, wird er durch das Selbst-Vervollständigen Teilhaber des Bildes und damit zum Komplizen der eigenen Arbeit.
Die Sujets, die Du wählst, sind neben Porträts vor allem Landschaften, Motive, die wie der Zeit enthoben wirken. Gibt die beschleunigte, urban geprägte Welt keine Motive für Dich her? Sind Deine Bilder Fluchtbewegungen?
Die Fragen, die ich in meinen Bildern verhandele, beschäftigen die Menschen seit jeher – insofern sind sie der Zeit enthoben. Fluchtbewegungen sind meine Fotografien deshalb nicht. Ich formuliere damit meine visuellen Antworten auf allgemeingültige Fragen.
In früheren Ausstellungen hast Du Landschaften und Porträts sogar in direkter Nachbarschaft gehängt. In welcher Relation siehst Du sie?
In einer engen. Personen und Landschaften gehören zusammen; vielleicht nicht die Landschaft zum Menschen, aber der Mensch zur Landschaft. Ich fotografiere häufig Landschaften, die vom Menschen gestaltet sind. Da ist die Zusammenstellung nur logisch.
Baumwipfel, Unterholz, Hügel, namenlose Menschen an Orten ohne Eigenschaft – Deine Motive sind unprätentiös, unspektakulär, von wenigen Details abgesehen ohne auffallende Eigenschaften. Wo alle Welt nach Aufmerksamkeit strebt, auffallen will – warum wählst Du diese Motive?
Das Unspektakuläre ist doch das Spektakuläre dieser Welt. Auf der Suche nach dem Spektakulären ist mir einfach das Unspektakuläre aufgefallen. Meine Motive heischen nicht nach Aufmerksamkeit, sie sind nicht laut, aber schön.
Deine reduzierte Farbpalette, der stille, melancholische Ton Deiner einzelnen Arbeiten steht im Gegensatz zum schreienden Duktus der zahllosen Bilder, die uns aus den Medien entgegenschlagen. Sind Deine Fotografien ein Protest gegen die Reizüberflutung?
In der Werbung und in den Printmedien wird die Fotografie auf eine einfache und billige Art genutzt. Sie wird hier als leicht zu verstehende, laute Kost präsentiert. Fotografie ist aber vielschichtiger, sie kann mehr, weil sie ist unserem am weitesten entwickelten Sinnesorgan, dem Auge, so nah ist – für mich ist das besonders wichtig, weil ich auf einem Ohr halbtaub bin. Deshalb habe ich begonnen, meine Aufnahmen so dunkel zu gestalten, dass man sich ihnen ausgiebig widmen muss. Wer das nicht tut, kommt nicht an die Bildinformationen heran. Im Dunklen und Leisen können wir Dinge erkennen, zu denen uns der Zugang sonst verstellt wird.
Was denkst Du über die vielen verwackelten oder (vermeintlich) bewegungsunscharfen Aufnahmen von Leserreportern oder in Anzeigen?
Wie schamlos hier die wunderbaren Eigenschaften von Unschärfe eingesetzt werden, stört mich. Sie ist nicht primär dazu da, uns künstlich in einen Wohlfühlraum zu versetzen oder eine Aura von Dynamik zu suggerieren. Unschärfe ist natürlich: Der größte Teil des Bildraums, den wir wahrnehmen, ist unscharf.
In wiefern reflektierst Du in Deiner Arbeit, was Fotografie leisten kann?
Ich möchte sehen, was mit der Kamera machbar ist – wie ein Kind, das guckt, wie weit es gehen kann. Bei Aufnahmen in der Dunkelheit bin ich an der Grenze dessen, was man aufzeichnen kann. Ob dahinter die bewusste Reflexion über die Fotografie steht? Vielleicht.
Würdest Du Dich als Romantiker bezeichnen?
Ich störe mich an dem Begriff Romantiker. Tatsächlich suche ich aber nach der Ganzheit – im Einzelnen und Bruchstückhaften – und in der Hoffnung, dass die Summe aller Teile vielmehr ist als die Summe aller Teile.
Wer oder was beeinflusst Dich am meisten?
Einige Maler und Fotografen, die nicht mehr leben: Rembrandt, Tizian, Edward Steichen, Fritz Kühn. Vielleicht die gesammelten Werke der Camera Works von Stieglitz. Es gibt da ein wunderbares Taschenbuch, wo alle Ausgaben zusammengebunden sind... Julia Margeret Cameron. Vilhelm Hammershoi, ein dänischer Maler. Alles Leute, die sich mit ähnlichen Fragen und Ängsten beschäftigt haben wie ich heute und deshalb zu ähnlichen Antworten gekommen sind.
Mit welchen Fragen wirst Du Dich in nächster Zeit am intensivsten beschäftigen?
Die Vergänglichkeit und meinen Ängste davor – damit werde ich mich weiter beschäftigen, künftig wieder mehr in Porträts als in Landschaften. Und wenn ich den Mut dazu habe, wage ich mich an die Inszenierung. Aber davor habe ich unbeschreibliche Angst – ich traue meiner Fantasie nicht.
(Die Fragen stellte Jörg Kohnen-May)